Innere Ausgeglichenheit finden und leben
„Früher brachte der Lärm die Menschen aus der Ruhe.
Heutzutage ist es die Stille.“ (Ernst Ferstl)
Dichotomie vs. Homöostase
Dichotomie kommt aus dem Griechischen und bedeutet Teilung, Aufteilung, sukzessive Aufteilung in zwei nicht miteinander verbundene Teile. Es wird in zwei gegenseitig ausschließende Begriffe unterteilt.
Unser Verstand und unser Denken will ständig eine Eindeutigkeit: Gut/Schlecht, Richtig/Falsch, Entweder/Oder.
Der Autor Christopher Vasey sieht in der Evolution des Menschen die Verstandesherrschaft als die Ursache allen Übels. Zweifelsohne kann es uns erheblich besser gehen, wenn wir statt des ewigen und heutzutage gerne ideologisch aufgeladenen „Entweder-Oder“ wieder mehr ein „Sowohl-als auch“ zulassen. Und, wenn wir uns von inneren und äußeren Einflussversuchen frei machen, erwachsen(er) und (wieder) neugieriger und offener werden.
Es lohnt sich, einen Blick in die Natur zu werfen. Die Homöostase bezeichnet das Gleichgewicht und die Erhaltung bzw. die Wiederherstellung eines Gleichgewichts. Im gesundheitlichen Bereich sorgen z.B. etwa Körperfunktionen dafür, dass wir in der Regel zwischen 36° und 37° Körpertemperatur haben. Ausschläge sind weder zu sehr in der einen, noch zu sehr in der anderen Richtung gesund. Der Begriff wird außerdem in der Psychologie, der Medizin und in den Sozialwissenschaften für selbstregulierende Prozesse verwendet.
Die Natur selbst strebt also grundsätzlich in Richtung Ausgeglichenheit.
Neigungen, Stärken und ‚entwertende Übertreibungen‘
Wer sind wir? Welche Neigungen haben wir? Es lohnt sich, mal für sich eine Positionsbestimmung vorzunehmen; zu verstehen, wo unsere Stärken und unsere Entwicklungsfelder sind und wo womöglich eine Balance zu finden ist [einen entsprechenden Neigungstest mit Einführung und Hintergrund kann man als “kleines Paket” bei Roter Faden Coaching machen bzw. bekommen!].
Da gibt es etwa Menschen, die einerseits sehr hervorragende Analytiker und sehr detailbewusst sind. Die „entwertende Übertreibung“ macht aus ihm dann den Erbsenzähler, der sich im Detail verliert.
Dann gibt es Menschen, die sehr durchsetzungs- und entscheidungsstark sind und sich gut auf Ziele fokussieren können.
Wenn das dann ins Gegenextrem kippt, hören wir oftmals, dass „da einer über Leichen geht“.
Sehr emotionale und beziehungsstarke Menschen können über sehr gute Intuition sowie Empathie verfügen.
Bei der entwertenden Übertreibung gibt es dann den Ausdruck der „Heulsuse“ oder der sog. „Gefühlsduselei“. Und schließlich gibt es Menschen, welche von ihrer Neigung und Stärke her loyal und verlässlich sind, einen Stein in der Brandung und gute Stabilität darstellen können; deren entwertende Übertreibung spiegelt sich dann in übervorsichtiger Risikoscheu sowie in nach Sicherheit suchenden Ausdrücken wieder wie etwa „das haben wir schon immer so gemacht“ oder „lieber einen Spatz in der Hand als eine Taube auf dem Dach“.
Es geht darum, das, was uns ausmacht, zu lieben. Das ist die unbedingte Voraussetzung dafür, genau das werden zu können, was wir in uns haben – und dass wir das „eigentlich“ längst sind.
Jede der oben beschriebenen Neigungen birgt Entwicklungspotenzial in sich. Noch einmal, es geht um Lieben, nicht um krampfhaftes Festhalten. Letzteres liefe sonst auf den bekannten Satz „so bin ich halt“ hinaus, also auf eine totale Identifizierung mit den uns steuernden vorhandenen Konzepten. Und so verwehren wir uns jegliche Weiterentwicklung. Das ist, wie wenn eine Pflanze am Wachsen gehindert würde.
Das bedeutet auch, aus einem permanenten Selbstoptimierungs- und Selbstverbesserungswahn auszusteigen.
Es ist eine falsche und fatale Reihenfolge und wir landen in der fatalen „Wenn – dann“- Schleife: Wenn wir dieses und jenes geschafft, erreicht oder erlangt haben, dann…, wenn wir dort… angekommen sind, dann … Ja, was ist dann?
Unser Kopf sagt uns, dass wir nie ‚okay‘ sind. Diese Schleife lockt dennoch ununterbrochen mit der Karotte vor der Nase, dass wir vielleicht doch ‚okay‘ sein könnten, wenn …
So halten wir uns in einer Art unterschwelligem „Dauerleiden“ fest und das drückt enorm auf die Lebensfreude.
Das innere Gleichgewicht und die Selbstbeobachtung
Balance ist Gleichgewicht und Ausgewogenheit. Nicht umsonst gibt es den Ausdruck „Jemand ruht in sich selbst“ oder auch „Jemand ist in seiner Mitte“. So jemand gilt als ausgeglichen, recht unaufgeregt, gelassen und zugleich klar. Oft spricht man auch davon, dass jemand mit beiden Beinen im Leben steht.
Es geht hier also darum, weder alles zu glauben, was man denkt, noch was man fühlt und sich bewusst zu machen, dass man weder Körper, noch Gefühle oder Gedanken ist, sondern dass man sozusagen das Bewusstsein ist, was all das wahrnimmt. Das bedeutet nicht, nicht auch die Extreme zu spüren, sich wahrzunehmen und sich zu erfahren, doch das eben aus einem inneren Zentrum heraus. „Unser Ego, diese geistige Struktur, fühlt sich wohler‘, wenn es mit den Spannungen der Bedrohung seiner selbst zu kämpfen hat“, schreibt Thaddeus Golas in seinem (vergriffenen) Buch „Der Erleuchtung ist es egal, wie du sie erlangst“.
Auch Buddha sagte, dass das Gewahrsein eben vollkommen sei und dass es darum ginge, das Leiden und die Freude gleichermaßen anzunehmen.
Stille und Schwingen
Balance bedeutet nicht Stillstand. Als lebendige Wesen schwingen wir immer(!).
Es gibt eine hilfreiche Angewohnheit, die wir annehmen können. Wir können uns in der (Selbst)Beobachtung üben und uns fragen, auf welcher Bewusstseinsebene wir gerade schwingen, denn das generiert unsere Wirklichkeit.
Thaddeus Golas führt weiter aus: „Dabei bleiben ist wichtig. Du kannst dich in deinem Zimmer verstecken, oder die Stadt verlassen, aber du als Wesenheit wirst mit deiner Ablehnung einer niederen Schwingungsebene festsitzen, sobald du dich unvermittelt abwendest. Es wird dann wie der eigenartigste aller Zufälle aussehen, wenn du deine Aufmerksamkeit scharf von einer unangenehmen Szene abgewendet hast, immer wieder in ähnliche Situationen hineinrennst.“
Genau das ist das Paradoxon: Ehe wir noch bis drei zählen können, sind wir wieder im Widerstand: Da ist etwas in uns, was da nicht sein „darf“. Entweder der Widerstand zeigt sich dadurch, dass wir es bekämpfen oder darin, dass wir uns permanent ablenken, wofür unsere heutige Welt ja ebenfalls unzählige Möglichkeiten bereithält. Es gilt, wirklich vollumfänglich Verantwortung zu übernehmen, was jetzt gerade da ist.
Und genau hinzuschauen, was genau die Hürden auf dem Weg zu mehr Balance sind, auch wenn es vielleicht schmerzhaft ist.
Kehren wir also nochmals zum Ort der Ruhe zurück. Wenn wir die Stille wieder „auszuhalten“ lernen und ohne Widerstand das wahrnehmen, was gerade da ist, können wir aus dieser totalen Annahme heraus beginnen, höher zu „schwingen“, unsere Balance dabei zu finden und das Leben mehr als Tanz ansehen – ein Tanz aus Annehmen und Loslassen.
Geht das über Nacht? Nein. Aber es gelingt immer besser. Und über diese Art innerer Ausgeglichenheit laden sich so dann unsere ‚inneren Batterien‘ auf – und echte Lebensfreude kann sich (wieder) einstellen.